DIE „1968er JAHRE“ ALS GLOBALE KULTURREVOLUTION
Jens Kastner
Im Jahr 1968 kulminierte eine globale Kulturrevolution. Das Kulturelle daran betraf nicht nur die Kunst, sondern auch die Denk- und Wahrnehmungsweisen. Und es zeichnet die Globalität der 68er Jahre aus, dass – theoretisch wie praktisch – transnationale Verbindungen an vielen Orten hergestellt wurden. Gemeinsame Klammern der damaligen sozialen Bewegungen waren sicherlich die Proteste gegen den Vietnam-Krieg und der Anspruch auf gesamtgesellschaftliche Demokratisierung. Die bestehende Welt mit ihrem Kapitalismus und Krieg sollte verändert werden, aber auch das alltägliche Leben wurde zur Disposition gestellt. Die Bewegungen zielten zugleich auf das große Ganze und auf die vermeintlichen Kleinigkeiten, sie agierten makro- und mikroperspektivisch. Das Kulturelle dieser Revolution zu betonen, bedeutet auch, auf ein Paradox hinzuweisen. Es besteht darin, dass die Bewegungen der „1968er Jahre“ zugleich sehr erfolgreich waren und total gescheitert sind. Verloren haben sie hinsichtlich ihrer weitreichenden ökonomischen und selbst in Bezug auf ihre politischen Erneuerungsvorstellungen. Erfolgreich waren sie hingegen vor allem in kultureller Hinsicht.
CURATORIAL SELF-CRITICISM: THE REVOLUTIONARY TRILOGY REVISITED
Maja Fowkes und Reuben Fowkes
Vor einem Jahrzehnt kuratierten wir drei internationale Gruppenausstellungen, die sich mit Jubiläen revolutionärer Momente der Nachkriegszeit beschäftigten: Revolution is Not a Garden Party (2006) war ein Gedenken an den ungarischen Aufstand von 1956, Revolution I Love You (2008) behandelte das zeitgenössische Erbe der globalen 68er Bewegung, während Revolutionary Decadence (2009) die gesellschaftlichen Veränderungen durch den Zusammenbruch des Kommunismus im Jahr 1989 zum Thema hatte. Diese Ausstellungen, die auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung und in einer Phase verstärkter europäischer Integration konzipiert wurden, beabsichtigten, das ungenutzte revolutionäre Potenzial vergangener Aufstände kritisch zu befragen. Aus der zeitlichen Distanz und im Lichte des durch den Aufstieg des Populismus und die globale postdemokratische Wende transformierten politischen Klimas unterzieht dieser Vortrag die Ausstellungen im Sinne einer kuratorischen Selbstkritik einer nochmaligen Betrachtung.
DAS FH-PROJEKT
Kerstin von Gabain
Zwischen 2010 und 2012 hat die Künstlerin Kerstin von Gabain acht ehemalige Bewohner_innen der Otto-Mühl-Kommune Friedrichshof interviewt. Alle Befragten haben ihre gesamte Kindheit in der 1989 aufgelösten Kommune verbracht. Die Niederschrift dieser Interviews wurde anonymisiert und ergänzt durch Fotos vom Friedrichshof 2014 als Buch publiziert. Bei den Gesprächen ist weniger das „Sozial-Experiment“ Kommune das Thema, sondern mehr der Ort Friedrichshof selbst, mit seinen physischen Ausformungen. Was können Erinnerungen an eine Umgebung mit ihren Gebäuden und Räumen über einen Ort und die soziale Struktur, in der man aufwächst, erzählen?
ROUNDTABLE
WO IST DER GESELLSCHAFTSVERÄNDERNDE GEIST VON 1968 GEBLIEBEN?
50 Jahre nach dem langen 1968, das weniger für ein Jahr als vielmehr für eine Periode steht und heute als Chiffre für Demokratisierung, Emanzipation und die Gestaltbarkeit von Gesellschaft dient widmet sich ein Roundtable der Relevanz der 68er-Bewegungen für die gegenwärtige gesellschaftliche, politische und kulturelle Verfasstheit. Wo ist der gesellschaftsverändernde Geist geblieben? Brauchen wir angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Kräfte, die ihre Politik als Gegenentwurf zu den 68ern verstehen, eine neue Bewegung?
Begrüßung und Einführung
Luisa Ziaja (Kuratorin) und Claudia Slanar (Kuratorin Blickle Kino und Videoarchiv)
Filmvorführung
Chris Marker, Le Fond de l’air est rouge, F 1977/1993
Zweiter Teil: Les Mains coupées, 92 Minuten, engl. F.
DIE „1968er JAHRE“ ALS GLOBALE KULTURREVOLUTION
Vorträge und Gespräche
Jens Kastner, (Kunsthistoriker, Soziologe, Akademie der bildenden Künste Wien)
CURATORIAL SELF-CRITICISM: THE REVOLUTIONARY TRILOGY REVISITED
Maja und Reuben Fowkes (Kunsthistoriker_innen, Kurator_innen,
Direktor_innen Translocal Institute for Contemporary Art, London/Budapest)
DAS FH-PROJEKT
Lesung und Gespräch
mit Kerstin von Gabain (Künstlerin, Wien) und Luisa Ziaja (Kuratorin)
WO IST DER GESELLSCHAFTSVERÄNDERNDE GEIST VON 1968 GEBLIEBEN?
Roundtable
Mit
Alexander Horwath (Publizist, Filmkritiker, Wien)
Wolfgang Kos (Journalist, Historiker, Autor, Wien)
Maria Mesner (Historikerin, stv. Institutsleiterin des Instituts
für Zeitgeschichte der Universität Wien; Leiterin des Kreisky-Archivs)
Robert Misik (Journalist, Autor, Wien)
Stella Rollig (Belvedere, Wien)
Marlene Streeruwitz (Autorin, Regisseurin, Wien/London/New York)
moderiert von Sibylle Hamann (Journalistin, Autorin, Wien)